Der Himmel ist grau und es ist kühl – wenn es regnen würde, hätten sie kein Dach über sich. Trotzdem sind die „Breisgauflitzer“ am vergangenen Samstagnachmittag wieder ins SC-Stadion gekommen, so wie bei jedem Spiel ihrer Lieblingsmannschaft. Etliche von ihnen sind schon eineinhalb Stunden vor Spielbeginn da, sie treffen sich gezwungenermaßen immer am gleichen Ort: ganz vorn an der Südtribüne. Denn dort, direkt hinter dem Gitter, ist der unbedachte Bereich, der für Menschen mit Rollstuhl vorgesehen ist.
Als es irgendwann endlich losgeht, haben alle längst ihre Rollstühle Richtung Spielfeld gedreht. Einige schwenken ihre Fan-Schals und wiegen ihre Oberkörper hin und her – wie unzählige andere Fans im voll besetzten Stadion. Auf diesen Moment haben die Breisgauflitzer lange gewartet. Davon würden sie sich auch von Regen nicht abhalten lassen – selbst wenn sie im Nassen sitzen müssten.
„Fans kommen immer“, sagt Ilona Nann (64). Sie lebt ohne Rollstuhl, doch ihre Tochter Sandra Nann (38) braucht einen, schon ihr ganzes Leben lang. Das hat die Familie nie davon abgehalten, ins SC-Stadion zu gehen. Sie lernten andere Fans im Rollstuhl kennen, irgendwann entstand die Idee, einen Verein zu gründen.
„Dadurch wurde es verbindlicher und wir unternehmen auch sonst ab und zu was zusammen“, sagt Sandra Nann. Das ist für sie umso wichtiger, weil es in Todtnau, wo sie lebt, kaum Freizeitmöglichkeiten gezielt für Menschen mit Behinderung gibt. Bei den Breisgauflitzern ist sie Beisitzerin, ihre Eltern engagieren sich beide mit: Ihr Vater ist ebenfalls Beisitzer, ihre Mutter Schriftführerin. Sandra Nann hofft, dass der SC gegen den FC Augsburg gewinnen wird, sie tippt auf einen knappen Sieg: 2:1. Neben dem SC hat sie noch eine andere Lieblingsmannschaft – den FC Bayern München. Waldemar Schwendemann (70) mag die Münchner weniger, er bevorzugt den SC Dortmund. Aber er schätzt das Stadion des FC Bayern München, genau wie das von Eintracht Frankfurt: „Das sind bundesweit die zwei besten Stadien für Rollstuhlfahrer.“ Er kann das ganz genau beurteilen, denn er war nicht nur bis vor zwei Jahren Vorsitzender der Breisgauflitzer, sondern ist auch sehr aktiv in der Bundesbehindertenfanarbeitsgemeinschaft (BBAG).
Ungefähr die Hälfte des Monats reist er von seinem Wohnort Offenburg aus mit dem ICE von Spiel zu Spiel und Stadion zu Stadion, ab und zu fliegt er auch an entlegenere Spielorte: Bei den Weltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien war er mit dabei. Die Stadien dort seien erstklassig barrierefrei. Waldemar Schwendemann war schon als Kind fußballbegeistert, damals begleitete er seinen Vater und lebte – trotz angeborener Rückgratspaltung – noch ohne Rollstuhl. Seit ungefähr 50 Jahren kann er nicht mehr gehen. Längst hat Waldemar Schwendemann beste Kontakte zu etlichen Fußballvereinen und zum Deutschen Fußball-Bund (DFB), bei der Planung des von ihm geliebten Frankfurter Stadions war er ebenso dabei wie er künftig das neue Freiburger Stadion mitgestalten will.
Klar ist, dass sich für Menschen mit Rollstuhl, aber auch mit anderen Behinderungen viel verbessern muss, denn bisher sieht es schlecht aus: Die Rollstuhlfahrer sitzen nicht nur ohne Schutz vor schlechtem Wetter da, sie haben zudem Tausende – manchmal aufgebrachte – Fans im Rücken. Wenn sie Pech haben, fliegen auch mal Becher in ihre Richtung, erzählen Stefan Kuschnerus (30), der durch eine Spastik besonders bewegungseingeschränkt ist, und seine Betreuerin. Ganz unten, mit dem Gitter vor sich, haben sie keine gute Sicht. Am schlimmsten aber ist, dass es für Rollstuhlfahrer keinen Fluchtweg gibt. So hoffen sie auf bessere Zeiten – und freuen sich erstmal über den 2:0-Sieg „ihres“ SC gegen Augsburg.
Anja Bochtler
Badische Zeitung